„Weltweite Pandemie“, „Rückholflüge“, „Ausgangssperren“, „Nasen-Mundschutz-Pflicht“…nein, das sind nicht Ausschnitte aus einer neuen Netflix-Serie, das ist das Jahr 2020: und WIR sind mittendrin.
Nach meinem letzten Tagebucheintrag sind nun 6 Wochen vergangen. Und wenn ich so zurückblicke ist es unvorstellbar, was in so einer kurzen Zeit passieren kann und wie so ein Ereignis die Welt von heute auf morgen verändert. Ich denke, ich brauche nicht erzählen, dass jeder im Januar die Situation in China nicht kommen sehen hat und die Nachrichten, die „so weit weg“ waren so schnell und ungebremst auf uns zukamen, unterschätzt hat.
Natürlich gibt es auch die, die es mal wieder „gleich gesagt“ und „schon viel früher gesehen“ haben… 😀 Aber tatsächlich hatte mein Kollege ein sehr gutes Gespür! Was meine Vorbereitung sowohl seelisch als auch die Vorratskammer betrifft on point war. Das hat mir im wahrsten Sinne des Wortes den „Arsch“ gerettet 😀
Die ersten Wochen des „Lockdowns“ musste ich mir somit keine Sorgen um nicht vorhandenes Toilettenpapier, Küchenrollen oder Seife machen. Es war alles seit Anfang März zu Hause: und sogar ein wenig mehr wie z.B. Zahnpasta, Konserven, Wasserkanister etc. Hamsterkäufe habe ich nie gemacht, lediglich so mein Gewissen ein wenig beruhigt und ich konnte es dadurch vermeiden 5 verschiedene Märkte zu besuchen, um meinen Einkauf zu vervollständigen: denn die ersten Tage strahlten die Nachrichtensender dramatische Bilder aus Italien aus. Man bekam es wirklich mit der Angst zu tun, wie gefährlich dieses Virus ist. Und so konnte man doch die Hamsterkäufer etwas verstehen, man sah die Angst in den Augen der Menschen: wobei wir hier in Deutschland bestens versorgt waren und dies immer wieder betont wurde. Trotz dessen boten sich kriegsähnliche Bilder in den Märkten: komplett leer gefegte Regale! Und hier zeigten sich auch die ersten Unmenschlichkeiten. Wirklich traurige Stories, wie die Älteren nun vor leeren Regalen standen und sich nicht zu helfen wussten: verdeutlicht durch das ewige Sprichwort „Der Stärkere gewinnt, der Schwächere verliert“. Täglich folgten Sondersendungen, Pressekonferenzen und Schlagzeilen, die einen unsicher und unruhig stimmten. Da war ich ganz froh, jeden Tag zu Hause arbeiten zu können. Es wurde ein kleiner Rückzugsort ins Schlafzimmer.
Homeoffice Phase 1: Euphorie
Meine ersten beiden Homeoffice Wochen waren auch echt aufregend: immerhin war die Situation neu!
Klar, ich kannte das Arbeiten von zu Hause: ich hatte in den vergangenen Monaten bereits das ein oder andere Mal von zu Hause arbeiten „dürfen“. Denn selbstverständlich war es bei uns bisher nicht. Sagen wir es so: es wurde geduldet. Aber man fühlte sich schon irgendwie immer komisch, wenn man von zu Hause arbeiten wollte.,, schließlich hatte man keinen triftigen Grund. Die Kollegen scherzten mit einem Zwinkern „ja ja, Homeoffice“ und auch mein Mann hatte die Meinung „ach, wer Homeoffice macht, der arbeitet doch nicht“.
Aber ich kann nur für mich reden: für mich ist das Arbeiten von zu Hause selbstverständlich eine Erleichterung! Allein schon was den Fahrtweg betrifft-> Mit Glück bin ich 40 Minuten für eine Strecke im Auto unterwegs. Wenn ich Pech hatte ca. eine knappe Stunde. Das war vor und auch nach der Arbeit natürlich anstrengend: ich saß nicht in der Bahn und las ein Buch, ich musste mich auf den Straßenverkehr konzentrieren. Diese gewonnene Zeit habe ich nun mehr vom Tag! Überlegt euch mal: im Durchschnitt 1 ½ Stunden mehr Freizeit! Dazu kommt bei mir das Stylen, wodurch ich mittlerweile auch viel Zeit spare: die Haare trocknen an der Luft und Makeup brauche ich nicht mehr 😀 In den ersten beiden Wochen im Homeoffice pflegte ich allerdings die Routine: ich wollte mich unbedingt morgens schick anziehen, mich schminken und stylen: zumal die „neue“ Videofunktion in Chats und Konferenzen gerade in der Anfangszeit total beliebt war: man wollte seine Kollegen ja auch gerne sehen und sich gegenseitig den neuen Arbeitsplatz zeigen. 🙂
Es war ein richtig tolles Gefühl, viel Neues auf einen Schlag: wir regelten neue Abläufe, neue Prozesse und lernten neue Arbeitsweisen kennen. Das machte richtig Spaß– ich mag neue Herausforderungen! Andere hatten es natürlich nicht so gut und einfach wie ich: meine Kollegen beispielsweise, mit Kindern zu Hause, mussten ihre Arbeitszeiten den Kindern anpassen und sich ganz anderen Problemen stellen. Es war wirklich Wahnsinn was alles geleistet wurde. Aber mir machte das ruhige, ungestörte arbeiten richtig Spaß! Ich bin viel produktiver und kann mich länger konzentrieren. Teilweise mache ich Mittag am Arbeitsplatz und nutze die halbe Stunde Mittagspause um eine Runde spazieren zu gehen. Ja, was für ein Glück im Unglück, der Frühling 2020 zeigte sich auch noch von seiner schönsten Seite. Perfektes sonniges Wetter und die Natur erwachte aus dem Winterschlaf. Ich war die ersten Wochen jeden Tag spazieren, es tat so gut all das Wirrwarr im Kopf zu sortieren und Kopf mal durchpusten zu können.

Und fürs Wochenende saß ich vor meinem Malen-nach-Zahlen-für-Erwachsene Bild und die Zeit verging wie im Flug. Ende März kam dann auch das Material um meine Nägel künftig selbst zu machen 😀 hahaaa, das erinnerte mich an meine guten alten Nagelzeiten, als ich noch mit meinem mobilen Nagelstudio durch die Heimat gedüst bin und bei den Mädels zu Taschengeldpreisen Maniküre angeboten habe. Das ist bereits 12 Jahre her aber ich kenne natürlich noch alles und es machte richtig Spaß- naja, man hatte ja nun auch die Zeit dafür.
Apropos Zeit: habt ihr auch diese Entschleunigung des Alltags gemerkt? In den ersten Wochen, bis in den April hinein verging die Zeit so langsam. Man musste ja von 100 auf 0 runterfahren. Keine sozialen Kontakte: keine Verabredungen, Events, Termine am Nachmittag/Wochenende. Bei mir war das richtig wie gegen eine Wand fahren: HIER IST JETZT SCHLUSS. Es gab kein weiter, besser, schneller, höher…einfach STOP. Mir tat das so gut! Ich weiß nicht wie es euch ging, aber bei mir zog das Leben in den letzten Jahren immer schneller vorbei, ohne es so richtig sacken zu lassen und Eindrücke richtig verarbeitet zu haben. Man kam aus einem Urlaub zurück, und ich buchte direkt den nächsten Urlaub. Man wollte ja gefühlt immer dem Alltag entfliehen, aber eigentlich stürzte man sich in den nächsten körperlichen Stress. Ich durfte nichts verpassen: hier ein Termin, da noch schnell abends bei einem Geburtstag vorbei und am nächsten Morgen zum Frühstück mit den Mädels verabreden. Und wann kam man zur Ruhe? Irgendwann im Bett, wenn man sich nur noch wenige Stunden Schlaf nahm, denn dafür war ja auch eigentlich keine Zeit 😀 So ging es mir rückblickend und ehrlich gesagt die vergangenen Jahre. Und jetzt war, von heute auf morgen, einfach mal Schluss damit. Eine komische Situation aber sie tat mir verdammt gut. Ich reflektierte die letzten Jahre und nahm mir mal wieder Zeit für mich und die wesentlichen Dinge im Leben. Schaute mir alte Fotos an, lese wieder Bücher (weil sonst gar keine Zeit, außer im Urlaub, dafür gehabt) und erkannte erneut was für einen hohen Stellenwert die Familie im Leben hat. Familie und Gesundheit bleibt nun mal eines der wichtigsten Dinge im Leben.
Homeoffice Phase 2: Depression
Als die erste Euphorie dann verflogen war, im Homeoffice der Alltag allmählich einkehrte, Abläufe geregelt, Prozesse eingespielt waren, wurden auch Videokonferenzen weniger. Meine Kollegen hatten keine Lust mehr „sich zu sehen“. Die Kollegen mit Kindern hatten wahrscheinlich Augenringe des Todes und ich befand mich auch in einer eher unmotivierten Phase. Ich hatte keine Lust mehr mich jeden Morgen hübsch zu machen…Das Homeoffice wurde auf bis Mitte Juni verlängert und man realisierte, dass der anfängliche „Spaß“ nicht mehr so spaßig war. Die Stimmung wurde schlechter, da es der deutschen Wirtschaft mit jeder Woche Lockdown schlechter ging. Man hörte von Kurzarbeit, gekündigten Arbeitsverhältnissen und im nahen Umfeld scheiterten Existenzen ganzer Familien. Ich begriff, wie gut ich es eigentlich hatte, einen krisensicheren Job zu haben ist heute Luxus. Einigen Branchen geht es gerade echt an den Kragen. Auch in der Branche meines Mannes. Die psychische Belastung merkt man…man versucht sie zu unterdrücken. Die Arbeit im Homeoffice ist langsamer: man kann nicht mal eben zu dem Kollegen einige Büros weiter und schnell was fragen. Oder trifft in der Kaffeepause eine Kollegin, die man für eine Auswertung um Hilfe bitten kann, weil sie sagt, dass es gerade ruhiger bei ihr ist. Im Homeoffice ist man alleine, weiß nicht wie es dem Anderen geht, um ihn steht und muss auf Antworten und Rückmeldungen teilweise länger warten. Ich verlagerte meinen Arbeitsplatz nun teilweise an unseren Esstisch– hier kann ich auch mal stehend arbeiten. Dennoch bekam ich von Zeit zu Zeit richtig krasse Nackenschmerzen– der notdürftig eingerichtete Arbeitsplatz war ergonomisch doch nicht so toll wie anfangs gedacht. Wärmepflaster halfen nicht und es spitzte sich auf einen Schiefhals zu. Ich stelle euch mal ein Bild rein 😀 Es war so erschreckend und schmerzhaft, dass ich fast ins Krankenhaus fahren wollte. Ich verfluchte das Arbeiten von zu Hause 😀

Ich hatte absolut keine Lust mehr, ich wollte meine Familie sehen. Ostern stand vor der Tür und ich vertrieb mir die neu gewonnene Zeit mit Eier färben und basteln und verschickte Überraschungspakete an die Familie in die Heimat. Das erste Mal Ostern ohne Familie. Diese hatte ich ohnehin seit Weihnachten nicht gesehen. Ich war traurig. Hatte keine Lust mehr auf die ganzen Maßnahmen und sah einfach kein Licht am Ende des Tunnels. In dieser Zeit versank ich in „Sinn des Lebens“ Bücher, war gefesselt von wissenschaftlichen Berichten wie das Leben irgendwann weitergeht und hinterfragte mein eigenes Leben, meine derzeitige und künftige Situation…
Das Wetter war weiterhin sonnig (lag es an dem ausgesetzten Flugverkehr in der Luft? Dazu las ich auch so einige Theorien) und es wurde wärmer. Die Wohnung und der Balkon waren blitzeblank, der Schrank aussortiert und so langsam wusste man nichts mehr mit sich anzufangen. Jede Woche aufs Neue machte ich mir Gedanken, was für Workouts ich mache, was ich die Woche koche und backe und suchte mir immer wieder neue Anreize nicht dem Fernsehen und dem Sofa zu verfallen. Ich entdeckte das Fahrradfahren für mich und damit auch neue schöne Ecken ganz in der Nähe. Zu Fuß war es mittlerweile langweilig: man kannte alles und hatte 40 Tage fast immer das gleiche gesehen. Gerade der Radius in der halben Stunde Mittagspause wurde nicht wesentlich größer 😀 Ich wollte die Zeit jetzt bestmöglich nutzen, irgendwie hatte ich auch Angst, dass der beschleunigte Alltag schneller zurückkommt als es mir lieb war.
Homeoffice Phase 3: Routine/ Gewohnheit
Bis Ende April hatte ich mir eine richtige Routine erarbeitet. Mittlerweile funktionierte das Arbeiten von zu Hause optimal, die Bildschirmpause nutze ich mit: Geschirrspüler ausräumen, Toilette putzen und spare so noch mehr Zeit. Außerdem entlaste ich so die nicht ganz optimale Rückenhaltung. Den restlichen Monat traten keine Schmerzen mehr auf. Juhu! Mittlerweile sind die Temperaturen so schön, dass ich am Nachmittag auf dem Balkon arbeiten kann. Was für eine Lebensqualität! Es macht richtig Spaß und ich arbeite noch motivierter als sonst schon 😀 Als ich mich mit einer sehr guten Kollegin unterhalte, stelle ich fest, dass ich das Arbeiten im Büro absolut gar nicht mehr vermisse. Und irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass „ich gar nicht mehr zurückkehren möchte“. Die Angst des schnellen Alltags machte sich breit. Möchte ich diesen Stress am Morgen im Auto, diese ständige Erreichbarkeit im Büro und eher unkonzentrierte Arbeitsweise? Brauche ich wirklich die persönlichen sozialen Kontakte oder reicht mit das Telefonat und ein Videochat?! Fragen über Fragen, die mich schon wieder aufwühlen…und ich bin nun froh, eine Pause zu bekommen: denn der Urlaub steht bevor. Mein Mann musste ihn jetzt antreten und ich trat den Urlaub solidarisch an. Normalerweise wären wir mit dem Auto durch Europa gereist. Einige Länder durchfahren und die Freiheit genossen- die Freiheit, die uns ganz schnell genommen wurde: durch ein Virus, das wir bis heute nicht gut kennen, es keine Medikamente gibt und unsichtbar unter uns weilt…
-Fortsetzung folgt-

Ausblick: Im Mai wird es emotional und aufregend: ich sehe endlich meine Familie und die freie Zeit zu Hause wird für die Zukunftsplanung genutzt…es wird spannend!
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